EUGH: Wenn Arbeitgeber bei Nichteinstellung keine Auskunft zum Auswahlverfahren geben will, darf Diskriminierung vermutet werden
Das AGG sieht ein Recht des vermeintlich Diskriminierten ausdrücklich nicht vor. Oft fehlt es Anti-Diskriminierungsklagen gerade deshalb an Substanz. Wie soll man eine Diskriminierung beweisen, wenn einem wichtige Anhaltspunkte fehlen?
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in einem Vorabentscheidungsverfahren die Frage vorgelegt, ob das Unionsrecht* für einen Stellenbewerber die Möglichkeit vorsieht, von einem Arbeitgeber eine Auskunft darüber zu verlangen, ob und warum er einen anderen Bewerber eingestellt hat. Die Besonderheit des Rechtsstreits lag darin begründet, dass die abgewiesene Arbeitnehmerin schlüssig darlegen konnte, dass sie die in der Stellenausschreibung genannten Voraussetzungen erfüllt.
Darüber hinaus wollte das BAG vom EuGH wissen, ob der Umstand, dass der Arbeitgeber die geforderte Auskunft nicht erteilt, eine Tatsache ist, die das Vorliegen der von der Arbeitnehmerin behaupteten Diskriminierung vermuten lässt.
Ablehnung der Bewerbung ohne Bewerbungsgespräch
In dem vom BAG zu entscheidenden Rechtsstreit hatte sich eine Systemtechnik-Ingenieurin russischer Herkunft auf zwei sich inhaltlich entsprechende Stellenanzeigen für „eine/n erfahrene/n Softwareentwickler/-in“ der Firma Speech Design beworben. Ihre Bewerbungen wurden abgelehnt, ohne dass sie zu einem Gespräch eingeladen wurde und ohne dass Gründe für die Ablehnung angegeben wurden. Die Ingenieurin war der Ansicht, dass sie die Anforderungen für die Stelle erfülle und wegen ihres Geschlechts, ihres Alters und ihrer ethnischen Herkunft ungünstiger behandelt worden sei als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation. Sie erhob daher Klage vor den deutschen Gerichten und beantragte, Speech Design zur Zahlung von Schadensersatz wegen Diskriminierung bei der Beschäftigung und zur Vorlage der Bewerbungsunterlagen des eingestellten Bewerbers zu verurteilen, um ihr den Nachweis zu ermöglichen, dass sie besser qualifiziert sei als Letzterer.
Informationsverweigerung des Arbeitgebers könnte das Unionsrecht aushebeln
Der EuGH verwies auf seine Rechtsprechung (Kelly, C-104/10 ), wonach das Unionsrecht für eine Person, die sich für diskriminiert hält, keine spezifische Möglichkeit der Einsichtnahme in Informationen vorsieht, um sie in die Lage zu versetzen, die Tatsachen, die das Vorliegen einer Diskriminierung vermuten lassen, glaubhaft zu machen. Es könne jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass eine Verweigerung von Informationen durch den Beklagten im Rahmen des Nachweises solcher Tatsachen die Verwirklichung des verfolgten Ziels beeinträchtigen und insbesondere dem Unionsrecht seine praktische Wirksamkeit nehmen kann.
Der Gerichtshof hält diese Rechtsprechung für auf den vorliegenden Fall übertragbar, da der Unionsgesetzgeber trotz der Entwicklungen der Rechtsvorschriften die Beweislastregelung nicht ändern wollte. Daher hat das deutsche Gericht darüber zu wachen, dass die Auskunftsverweigerung durch Speech Design nicht die Verwirklichung der mit dem Unionsrecht verfolgten Ziele zu beeinträchtigen droht. Es hat insbesondere bei der Klärung der Frage, ob genügend Indizien vorhanden sind, um die Tatsachen, die das Vorliegen einer solchen Diskriminierung vermuten lassen, als nachgewiesen ansehen zu können, alle Umstände des Rechtsstreits zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang weist der Gerichtshof darauf hin, dass nationale Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten der Mitgliedstaaten vorsehen können, dass eine Diskriminierung mit allen Mitteln, einschließlich statistischer Beweise, festzustellen ist.
Zu den Gesichtspunkten, die in Betracht gezogen werden können, gehört insbesondere der Umstand, dass Speech Design Frau Meister jeden Zugang zu den Informationen verweigert zu haben scheint, deren Übermittlung sie begehrt. Darüber hinaus können auch die Tatsache herangezogen werden, dass der Arbeitgeber nicht bestreitet, dass die Qualifikation von Frau Meister den Anforderungen in der Stellenanzeige entspricht, sowie der Umstand, dass Speech Design sie gleichwohl nach Veröffentlichung der beiden Stellenausschreibungen nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hat.
Indiz für unmittelbare und mittelbare Diskriminierung
Der Gerichtshof kommt zu dem Ergebnis, dass das Unionsrecht dahin gehend auszulegen ist, dass es für einen Arbeitnehmer, der schlüssig darlegt, dass er die in einer Stellenausschreibung genannten Voraussetzungen erfüllt, und dessen Bewerbung nicht berücksichtigt wurde, keinen Anspruch auf Auskunft darüber vorsieht, ob der Arbeitgeber am Ende des Bewerbungsverfahrens einen anderen Bewerber eingestellt hat. Es könne jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die Verweigerung jedes Zugangs zu Informationen durch einen Beklagten ein Gesichtspunkt sein kann, der im Rahmen des Nachweises von Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, heranzuziehen ist. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller Umstände des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu prüfen, ob dies dort der Fall ist.
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