Aus der Praxis: Die Geschichte von dem Zeugnis ohne „Geheimsprache“
In der Praxis zeigt sich leider, dass die Wertigkeit der Zeugnisse stark abgenommen hat. Häufig schreiben sich die Mitarbeiter nämlich die Zeugnisses selbst und bedienen sich dabei der vielen Bewerbungsratgeber auf dem Markt. Das führt zu chaotischen Verhältnissen, weil viele dieser „Ratgeber“, zwar vorgeben die sog. geheime Zeugnissprache entschlüsselt zu haben, sich aber in wesentlichen Teilen widersprechen.
So z.B., ob die Formulierung „zu unserer vollsten Zufriedenheit“ gegenüber „zu unserer vollen Zufriedenheit“ schlechter oder besser zu bewerten ist.
Interessanterweise streiten sich die Arbeitsvertragparteien besonders gerne über das Zeugnis, obwohl dieses in der Einstellungspraxis immer mehr an Bedeutung verliert.
Der Fall: Eine junge Frau hat ein wenig schmeichelhaftes Zeugnis erhalten. Sie verlangt eine Zeugnisberichtigung, die ihr früherer Arbeitgeber ablehnt. Die Sache geht zu Gericht. Das Gericht weist den Arbeitgeber daraufhin, dass das Zeugnis nicht von dem geforderten „Wohlwollen“ getragen sei und regt eine Zeugniskorrektur an.
Der Arbeitgeber erklärte daraufhin, dass er doch nur das bescheinigen könne, was tatsächlich an Leistungen erbracht wurde und an Fähigkeiten vorhanden sei. Die Mitarbeiterin habe nun mal „schlecht gearbeitet“ und sei „weder pünktlich noch zuverlässig gewesen„. Zudem sei sie „selten in der Lage gewesen, einfache Sachverhalte zu erfassen“ und war „den Anforderungen gar nicht oder nur sehr bedingt gewachsen„. Er erklärte sich dennoch bereit, das Zeugnis noch einmal zu überarbeiten.
Wenige Tage später erhielt die junge Frau Post von Ihrem früheren Arbeitgeber. Die Formulierungen im Zeugnis waren nicht abgeändert worden, dafür wurde es aber wie folgt ergänzt:
„Dieses Zeugnis enthält keine verschlüsselten Formulierungen. Eine Interpretation im Sinne einer „Zeugnissprache“ würde die Aussage dieses Zeugnisses nicht im Sinne des Verfassers wiedergeben.“
Damit hat der Arbeitgeber klar zum Ausdruck gebracht, dass er von seiner früheren Mitarbeiterin gar nichts hält und sein schlechtes Urteil über sie, einer Interpretation nicht zugänglich ist. Er hat genau das zum Ausdruck gebracht hat, was er zum Ausdruck hatte bringen wollen.
Dazu fiel dann auch der jungen Frau nichts mehr ein. Sie gab auf und jagte das Zeugnis durch den Schredder.
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